NRW Forum 2019
Der Kölner an sich verkörpert Rheinische Frohnatur und Toleranz. Dabei nimmt er es nicht immer sehr genau, sondern lässt auch mal fünf gerade sein und neigt dabei zur Übertreibung. Ein Ereignis beispielsweise, das sich zum zweiten Mal wiederholt, bezeichnet er schon als Tradition, beim dritten Mal ist es für ihn bereits Brauchtum. Das von der VDE-Landesvertretung Nordrhein-Westfalen einmal im Jahr veranstaltete Forum fand in diesem Jahr zum zehnten Mal in Folge statt. Bei dieser stattlichen Zahl kann auch ein Nichtkölner ohne schlechtes Gewissen von Brauchtum reden.
Eine Besonderheit dieses VDE-Forums lag in der gemeinsamen Planung und Durchführung mit der NRW-Landesgruppe des DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e. V.), die durch ihren Geschäftsführer Heinz Esser vertreten war.
Das gewählte Thema „Sektorenkopplung“ ist hochaktuell, und so war es nicht verwunderlich, dass der Vortragsraum der OPEN GRID EUROPE (OGE) in Essen mit annähernd 60 Teilnehmern gut besucht war. Sektorenkopplung bedeutet dabei die intelligente Verknüpfung von elektrischer Energie aus regenerativen Quellen mit Energieträgern aus fossiler Erzeugung, in diesem Fall Erdgas. Sie ermöglicht die aus erneuerbaren Energiequellen erzeugte Energie umzuwandeln und z. B. über das Gasnetz für die Sektoren Wärme oder Elektromobilität zu nutzen. Dazu werden intelligente Netze benötigt, die dazu beitragen, dass der lokale Energiebedarf möglichst auch durch lokale Versorgung gedeckt wird. Zur Erreichung der Ziele der Bundesregierung, nämlich 80 % des Energiebedarfs bis 2050 aus erneuerbaren Energien zu decken, was ein großer Schritt für die Dekarbonisierung wäre, kann die Sektorenkopplung einen wesentlichen Beitrag leisten.
Die Veranstaltung begann zunächst mit einer Führung in drei Gruppen durch die Räume der OGE. Mit dem „Mobilen Labor“ können Gasanalysen direkt vor Ort beim Kunden, ob Netzbetreiber, Gasversorger, Industrie oder Biogasanlagen-Betreiber, schnell und zuverlässig durchgeführt werden.
Das Herz der OGE schlägt in der Netzleitstelle, dem Dispatching. Mit modernen Kommunikations- und Steuerungssystemen wird das etwa 12.000 Kilometer umfassende Fernleitungsgasnetz mit all seinen Einrichtungen wie Verdichter-Stationen, Ein- und Ausspeisestationen, Gasdruck-Regel- und Messanlagen (GDMR) und Absperrarmaturen für Instandhaltungsmaßnahmen von erfahrenen Mitarbeitern rund um die Uhr überwacht und gesteuert. So werden z. B. anstehende Wartungsarbeiten mit der Vertragsabwicklung so koordiniert, dass ein reibungsloser Versorgungsbetrieb gegeben ist.
Nach der Begrüßung durch die Herren Dr. Thomas Hüwener, Mitglied der Geschäftsführung der Open Grid Europe, und Dr.-Ing. Ralf Berker, Sprecher der VDE-Landesvertretung NRW, referierte Dr. Hüwener zum Thema: „Wenn nix geht - die Sektorenkopplung ist Teil der Lösung“. Die Sonne scheint nur tagsüber, der Wind weht willkürlich und unbeständig, was eine ständig sich verändernde Lücke zwischen Erzeugung erneuerbarer Energien und stetem Energieverbrauch bedeutet, die zurzeit noch von konventionell betriebenen Stromerzeugern geschlossen wird. Die Gasinfrastruktur - so sind beispielsweise deren Transportkapazitäten von Nord nach Süd etwa viermal so hoch wie beim Strom - kann wesentlich zur Versorgungssicherheit in Deutschland beitragen und damit einerseits ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Energiewende sein und andererseits die gesteckten Ziele zum Klimaschutz im realistischen Zeitrahmen erreichbar machen. „Wir müssen zum Klimaschutz stehen“, so Dr. Hüwener.
Im zweiten Vortrag befasste sich Prof. Dr. Lars Jendernalik, Leiter Daten- und Systemmanagement Westnetz Dortmund, mit dem Thema „Gas und Strom - zwei Welten finden zueinander“. Deutschland liegt im CO2-pro-Kopf-Ausstoß weltweit an vierter Stelle nach den USA und Russland und vor dem Nahen Osten und China. „Klimawandel geht uns alle an“ so Jendernalik. Immerhin wird heute etwa ein Viertel der bereitgestellten Energie von privaten Haushalten genutzt, mehr als die Hälfte fällt auf die Sektoren Verkehr und Industrie und der Rest auf Handel und Gewerbe. Bis 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien 65 % betragen. So steht es in dem im Jahr 2018 geschlossenen Koalitionsvertrag. Ein anspruchsvolles Ziel, denn heute liegt der Anteil bei schlappen 30 %. Aber die Energiewende ist mehr als erneuerbare Stromerzeugung, so Prof. Jendernalik, und sie erfordert das Zusammenspiel - sprich Kopplung - aller Energiesektoren.
Den dritten und letzten Vortrag hielt Dr.-Ing. Sven Christian Müller, Gründer und Geschäftsführer der logarithmo GmbH aus Dortmund, zum Thema „Eine Cloud, die Brücken baut“. Wetter-, Markt- und Netzdaten, um nur einige zu nennen, stehen zum Teil intern, teils öffentlich zur Verfügung. Diese oft ungenutzten Daten gilt es in gezielte Informationen umzuwandeln, um sie in unterschiedlichen Bereichen von Unternehmen zur effizienten Nutzung zur Verfügung zu stellen. Durch eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit und Nutzung der Daten kann die Kopplung zwischen Strom und Gas intensiviert werden, so Müller. Beispiele stellen die Zusammenarbeit bei der Netzentwicklungsplanung, die vorausschauende Instandhaltung und die Identifikation von Sonderzuständen im Betrieb dar.
Die darauffolgende Podiumsdiskussion, die wie immer bei solchen Veranstaltungen von unserem Sprecher der VDE-Landesvertretung NRW, Dr. Ralf Berker, kompetent moderiert wurde, machte noch mal das große Interesse an dieser Veranstaltung deutlich. Anschließend lud die OGE zu einem „sektorenübergreifenden“ Imbiss ein, der von den Teilnehmern und Referenten zum Gedankenaustausch und weiteren Gesprächen genutzt wurde.
Autor: Siegbert Kmetz